Das hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht
vorgestellt: Um 5:00 Uhr früh stehen wir an einer Straßenkreuzung und
putzen uns im dämmrigen Schein einer alten Straßenlaterne neben einem
Verkehrsschild die Zähne. Es ist schweinekalt. Um uns warm zu halten kicken wir Straßenmüll in das Feuer der Einheimischen. Wer weiß wie lange wir
hier noch warten müssen? Jede deutsche Bushaltestelle mutet uns grade
wie ein fünf-Sterne-Hotel an. Wir würden jetzt viel für so ein zugiges
Glasgebilde von deutscher Bushaltestelle geben...aber fangen wir von vorne an. Schuld an allem ist
der Lonely Planet.
Zunächst versuchen wir es mit einem
Ausflug auf die Insel Atauro, die vor Dili liegt. Traumhaft schön soll
die sein, so der Lonely Planet. Die drei-stündige Fährfahrt bringen wir
auf Deck schlafend mit einer Gruppe nerviger australischer Teenager zu.
Auf Atauro angekommen stellen wir fest, dass ausnahmslos alle
Unterkünfte ausgebucht sind aufgrund eines uns unbekannten katholischen
Feiertages und großer angereister Gruppen (die Australier). Nach etwa 2
Stunden Unterkunftssuche steigen wir also schlechtgelaunt zurück auf die
Fähre und es geht wieder zurück. Immerhin treffen wir dabei eine Gruppe
witziger Austauschlehrer aus aller Welt, mit denen wir unser Leid
teilen. Sie erzählen uns, wie es ist in Dili zu leben und zu
unterrichten und wir beschließen den Abend bei einem Cocktail am Strand
ausklingen zu lassen. Auf dem Weg zur Bar halten wir Ausschau nach einem
Taxi und prompt hält auch neben uns eins an. Das ist allerdings
abgesoffen und die ebenfalls ausländische Fotografin im Taxi erklärt
uns, der Taxifahrer hätte gesagt "Da, deine Freunde dort, die können
doch beim Anschieben helfen". Lachend schieben wir also zu fünft das
Taxi an unter der Bedingung, dass wir danach ein Stück mitgenommen
werden. Die am Straßenrand stehenden Timoresen sind sichtlich amüsiert, dass eine Horde junger Ausländer
ein Taxi anschiebt und nach und nach ins fahrende Auto springt. Drei Mal müssen wir das Auto anschieben, bis wir
am Ziel sind.
Am nächsten Tag gilt es ein neues Ziel zu
finden. "Get Lost in Old town Bacau" hieß es. Das hörte sich gut an. Wir
sahen Havanna-ähnliche Bilder von halbverfallenen Kolonialbauten vor
unserem inneren Auge vorbeiziehen. Aufregend. Auf nach Bacau. In einem
klapprigen, überfüllten Bus fahren wir die 4 Stunden zu der Kleinstadt.
Der Bus fährt so halsbrecherisch, dass sich sogar die Einheimischen
aufregen, nachdem wir zwei Mal nur knapp einem Frontalunfall entgangen
sind. Timo sitzt die meiste Zeit auf meiner Armlehne, einige junge
Männer hängen lässig aus der offenen Bustür. Das heißt noch lange nicht,
dass der Bus voll ist, es steigen immer mehr ein. Der Mann vor mir
transportiert in einer Wolldecke einen alten Röhrenfernseher. Und das
Mädchen auf dem Schoß der Dame neben mir schaut mich dich ganze Zeit an,
als wär ich ein Alien, bis ich kurz davor bin meinen ausgestreckten
Zeigefinger an ihren zu legen und zu sagen: "Ich bin E.T.". Aber sie
würde den Witz wohl nicht verstehen. Die Busfahrt wird regelmäßig von
Passkontrollen von düster drein schauenden, missmutigen Militärs unterbrochen. Unsere vielen Stempel werden oft
besonders lange begutachtet. Es wird nach einigen bewaffneten
Ex-Freiheitskämpfern gesucht, die sich angeblich 24 Jahre lang in den Bergen
versteckt haben und jetzt was gegen die Regierung haben. Wie schön, dass
wir das jetzt erst erfahren. Die Diskussionen darüber, ob der Kämpfer auf
der Seite der Guten oder der Bösen steht, sind endlos. Dann sind wir in
Bacau. über Bacau im Lonely Planet geschrieben hat, war definitiv noch niemals in dieser Stadt oder wenigstens die ganze Zeit auf Drogen. Kolonialcharme ist nicht vorhanden, es fehlt schon am Kolonial. Es gibt exakt zwei Gebäude im Kolonialstil. Beide sind restauriert. Darüber hinaus gibt es noch ein paar portugiesisch anmutende, ausgetrocknete Springbrunnen mit abgeblätterter Farbe, in deren mittlere Tulpenblüte, aus der wohl früher das Wasser kam, die Timoresen Straßenlaternen gesetzt haben. Wären sie ein Kunstwerk würde die Installation wohl "Die Vergewaltigung der Tulpe" heißen. Ästethik geht jedenfalls anders. Auch das angeblich so tolle Schwimmbad ist leer und sieht auch nicht so kolonialistisch aus. Schnell fliehen wir zum nahegelegenen Strand von Osolata - zu Fuß die paar Kilometer, denn eine andere Option gibt es nicht. Der Marsch durch die Wildnis und kleine süße Dörfchen runter zum Strand ist sehr ruhig und wunderschön. In Osolata angekommen gibt es immerhin eine Art Bungalow, mit Abstand die schlechste Unterkunft die wir für 30 Dollar die Nacht jemals gesehen haben. Auf
Der Strand von Osolata |
Wer ans Ende der Welt möchte um fern von allem anderen zu
sein, der ist hier richtig. Nicht mal schwimmen kann man hier, dank der
Salzwasserkrokodile. Nach einem kurzen Versuch lassen wir auch das am
Strand rumliegen sein...das Risiko einzuschlafen und von einem Krokodil
aufzuwachen, dass einem am kleinen Zeh rumknabbert, stört die Entspannung ungemein. Die Fischer kratzt das
natürlich nicht, die stehen bis zur Hüfte im Wasser und werfen ihre
Netze aus. Nach langer Diskussion mit fünf Dorfbewohnern haben wir es
geschafft eine Sim-Card mit Internet zu erwerben. Sie hat zwar die
falsche Größe - die MicroSim ist hier noch nicht angekommen - aber das
ist nichts, was man nicht mit einer Nagelschere beheben könnte. Beim
Abendessen reflektieren wir die Unterschiede zu Indonesien: Tatsächlich
scheint hier jedes Kind in die Schule zu gehen, auch in diesem
abgelegenen Dorf, wo die Kinder nachmittags stundenlang auf eine
Fahrgelegenheit warten müssen, um nach Hause zu kommen. Die jüngeren
sprechen daher alle ein paar Brocken Englisch. Überall stehen Schilder
die ankündigen, dass der Staat die Straßen oder etwas anderes ausbauen
will. Es gibt Warnschilder, die auf tollwütige Tiere
hinweisen und in
Com sehen wir sogar ein Schild, das erklärt, welche Tiere unter
Naturschutz stehen (Schildkröten z.Bsp.) und die das Töten dieser Tiere
unter Strafe stellen. Die Menschen sind nicht so fröhlich und freundlich
wie die Indonesier. Die Alten schauen oft grimmig, vermutlich zu recht.
Die Australier meinten dazu, viele seien neidisch, weil sie denken wir
hätten alles. Einen Vorteil
hat das hier, denken wir als wir ins Bett
gehen, es ist abends wirklich totenstill. Um 4 Uhr nachts werden wir
dann eines besseren belehrt. Ein Truck fährt durchs Dorf, komplett mit
lauter
Musik und jemand ruft immer wieder "Kota, Kota". Wir wissen nicht was
"Kota" heißt, wundern uns, und drehen uns wieder um. Am Vormittag wollen
wir das trostlose Dorf wieder verlassen, aber der Bus der um zehn Uhr
kommen soll, kommt nicht, und wir spazieren etwas durch die Gegend.
Später erfahren wir, es gibt doch keinen Bus (hatte er aber doch gestern
gesagt??), nur der Gemüsewagen, der fährt nach Lautem, von wo wir
den Bus Richtung Dili nehmen können. Der Gemüsewagen ist das einzige
Transportmittel aus dem Dorf, wird uns erklärt. "Welcher Gemüsewagen?",
fragen wir. Na DER Gemüsewagen, der fährt um vier Uhr früh. Ach so der,
denken wir, das war das, was wir nachts gehört haben also. "Kota" heißt
Stadt finden wir bei dieser Gelegenheit heraus. Seufzend fügen wir uns
unserem Schicksal, packen und stellen den Wecker auf 3:55 Uhr.
Com |
Am nächsten Morgen wache ich um 3:30 Uhr in der Früh davon auf, dass Timo mich schüttelt und ruft "Theresa, wach auf! Der Gemüsewagen ist da!". Timo rennt raus, um den Truck aufzuhalten. Eine Viertelstunde später sitzen wir zwischen jeder Menge Gemüse und Menschen auf dem Lastwagen und stellen frustriert fest, dass der Gemüsewagen nochmal eine Runde durchs Dorf dreht. Der muskulöse junge Mann, der außen am Truck hängt ruft das uns bereits bekannte "Kota, Kota" und die Leute strömen aus ihren Wohnhäusern und laden entweder Lebensmittel auf den Truck und/oder steigen selbst ein. Es wird immer voller. Ich halte mich hartnäckig in der Nähe des Ausgangs (eigentlich müsste man durchrutschen), da ich so weit wie möglich weg vom Lautsprecher sitzen will. Den Fehler neben dem Lautsprecher zu sitzen, hatte ich ja schon auf dem Hinweg gemacht. Eine alte runzlige Frau steigt ein und leuchtet mir ausgiebig mit ihrer ungewöhnlich starken Taschenlampe ins Gesicht. Als musikalische Untermalung dazu dröhnen aus den Boxen die Bravo Hits 95 - Coco Jambo und I'm Blue. Da ba dee da ba di. Über die Musik hinweg schreit Timo mir zu: "Was machen wir hier eigentlich??". Noch auf dem Truck beschließen wir, uns auf Bali ein paar Tage zu erholen. Immer mehr Menschen steigen zu. Jedesmal wenn jemand neues einsteigt leuchtet die Alte erst dem Neuankömmling ins Gesicht und dann mir. Dazu sagt sie "Malay", was wohl "Ausländer" heißt. Ich komme mir leicht diskriminiert vor, aber wenigstens fühle ich mich so während der unbequemen Fahrt unterhalten und kann sehen wer noch so alles einsteigt. Die Metallstange im Rücken, die als Lehne dient und die Knie bis an die Ohren gezogen, weil die Füße auf Kürbissen ruhen, kommen wir nach einer Stunde endlich in Lautem an. Dort stellen wir fest, dass die Schüler dachten wir seien ihre neuen Lehrer. Da muss man schon einigermaßen verrückt sein, um hier Englisch zu unterrichten. Aber es gibt anscheinend tatsächlich ausländische Lehrer hier. Ich frage mich im Stillen, wie man sich wohl fühlen muss, wenn man als Teenager jeden Morgen diese Fahrt macht. Was für Perspektiven einem das wohl aufzeigt. Ob es für sie trostlos ist? Die Eltern erwarten vermutlich Dankbarkeit von einem, da Frieden herrscht und es zu essen gibt. Sicher nicht einfach, so eine Jugend. "This is the condition of our country", sagte der junge Mann. Oh, ja.
Etwas später stehen wir wieder drei Stunden an dieser Kreuzung in Lautem in der
Kälte und warten darauf das uns irgendwas oder irgendwer Richtung Dili
mitnimmt. Als endlich ein Minibus kommt, lässt er uns stehen mit der
Begründung der Bus sei voll, obwohl noch Platz ist. Wir sind der
Verzweiflung nahe. Aber irgendwann kommt tatsächlich ein Bus der uns
auch mitnimmt und nun haben wir "nur noch" 12 Stunden wackelige Busfahrt
vor uns. Bis zur Pause wundern wir uns, warum zwei Sitzplätze im Bus frei bleiben, wo doch sonst kein Bus los fährt, bevor alle Plätze besetzt sind. Aber dann stellen wir fest, das mit uns auch ein Hahn
reist, der einfach vor den zwei leeren Sitzen steht und die Pause dazu nutzt sein Kikeriki zu üben. Und
da dachte ich der Tag kann verrückter nicht mehr werden. Wenigstens bringt ein Hahn im Bus wohl kein Unglück. ;)
Zurück in Dili versuchen wir einen letzten Ausflug zum Berg Ramelau. Da es dorthin keine Busse gibt mieten wir uns ein Moped und treten die Fahrt an, die nur zwei Stunden hätte dauern sollen. Timo fährt jetzt Moped mit Schaltung, angeblich kommt man damit besser den Berg hoch. Was uns niemand gesagt hat war, dass die komplette Straße zwischen Dili und Maubisse gerade erneuert wird. Die Straße ist also
Blick auf Dili auf dem Weg nach Maubisse |
Zwei Tage später lassen wir uns von
einem klapprigen gelben Taxi, bei dem fast die Tür abfällt, zum
Flughafen bringen. Es gibt hier nicht mal eine Anzeigetafel, das Bording
wird ohne Mikro kaum hörbar angesagt. Auf dem Rollfeld fällt mir ein
Plakat auf: "Willkommen in Timor Leste, im Land des Friedens und der
Liebe". Ich muss unwillkürlich lächeln. Hinter den Werbeschildern am
Zaun neben einem Burger King steht eine Gruppe Kinder, die jedes Mal in
Jubel ausbrechen, wenn jemand zum Flugzeug geht und die staunend den
Flugzeugen hinterherschauen. Sehnsüchtig? Ich denke an Grönemeyer und
summe mit freudige Erwartung auf ein paar entspannte Tage auf Bali vor
mich hin:
Wind Nord/Ost, Startbahn null-drei
Bis hier hör' ich die Motoren
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei
Und es dröhnt in meinen Ohren
Und der nasse Asphalt bebt
Wie ein Schleier staubt der Regen
Bis sie abhebt und sie schwebt
Der Sonne entgegen...
Bis hier hör' ich die Motoren
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei
Und es dröhnt in meinen Ohren
Und der nasse Asphalt bebt
Wie ein Schleier staubt der Regen
Bis sie abhebt und sie schwebt
Der Sonne entgegen...
Unterkunft Bacau: Tato-Tito Guesthouse, 30 Dollar
Unterkunft Osolata: 10 Dollar pP (Bambushütte) oder 30 Dollar/Zimmer im Bungalow
Unterkunft Com: Kathi Guest House, 15 Dollar
Unterkunft Maubisse: ?, gegenüber der Kirche, 30 Dollar, der Pfarrer ist Engländer!